Zwischen Perücken und Codezeilen, IT und Drag – Meet Amy

02/07/2023

9 Minuten Lesedauer
Amy Codecool Dragqueen - Diversity 07

Aktivistin, Dragqueen und bald Programmiererin. Amelie Sabine Irma „Amy“ Simonitsch (29) hat viele Rollen und ist außerdem noch eine kritische Stimme aus der LGBTQIA+ Community. Doch wie hat sie in die IT-Branche gefunden und gibt es Ähnlichkeiten mit ihrer geliebten Dragszene? Welche (queeren) Rollenvorbilder hat Codecooler Amy und was treibt sie an? Eins ist sicher, Amy ist eine Powerfrau und schreckt vor keiner Antwort zurück – Das ist Teil ihres Aktionismus!

Inhaltsverzeichnis

Wie hast du in die IT-Branche gefunden?

Ich bin in Bregenz aufgewachsen und wusste dann eigentlich nicht, wie ich mich in der Oberstufe spezialisieren soll. Ich hatte keine Ahnung, was ich werden will, weil ich mich nicht in der Zukunft gesehen habe. Das klingt so blöd aber ich habe in dieser Zeit wirklich keine Zukunft für mich gesehen. Ich war (und bin) noch dazu antikapitalistisch eingestellt und wollte auf keinen Fall reiche Firmen noch reicher machen. Zu dieser Zeit kam dann auch mein Outing als Transgender und da war dann doch plötzlich der Moment, dass ich eine Zukunft sehen konnte und wollte.


Mode hat mich immer schon interessiert und deshalb habe ich während meiner Geschlechtsangleichung mich für eine Modeschule in Deutschland vorbereitet. Ich habe die Aufnahmeprüfung geschafft, es war cool, doch es war eine toxische Atmosphäre und viel Bullying. Auch in der HAK wurde ich von einem Lehrer gemobbt, der mich zum Beispiel mit Amy bzw. Amelie angeredet hat, doch trotzdem immer noch “er” gesagt hat. Man härtet natürlich ab, aber ich finde es schade, weil man als Lehrer*in inspirieren sollte, junge Leute formen und unterstützen. Und es hat auch etwas gebraucht, bis ich all diese Erfahrungen aufgearbeitet hatte.


Da ich immer schon nach Wien wollte, war das die Gelegenheit. Nun habe ich wieder eine neue Orientierung gesucht. Ich wollte etwas Cooles machen und mich auf die Arbeit freuen. Ich wollte kreativ sein, aber gerne auch etwas technisch-handwerkliches machen. Ich habe in der Zeit viele Jobs ausprobiert und wusste genau was ich nicht will.


Diese Idee, dass ich Programmiererin werden wollte, war schon immer in meinem Hinterkopf. Damals, in den Zeiten von MySpace, Netlog und in Vorarlberg vor allem U-Boot, konnte man sein Profil und seine Blogbeiträge im üblichen Editor bearbeiten, oder eben mit HTML. Da konnte man ziemlich coole Sachen machen und ich habe da halt viel recherchiert und Tutorials gesucht, wie ich da meinen Blog cooler machen kann. Aber auch mein Ex-Freund war Developer und bei dem habe ich mir etwas abgeschaut und da habe ich gemerkt, dass ich Software Development und diesen “Nerdkram” sehr interessant finde. Dann hat es für mich “AHA” gemacht.

Du bist ja auch eine Drag Queen, oder?

Ja, genau, ich bin nebenberuflich auch Dragkünstlerin und unter dem Namen Fräulein Bürgerschreck bekannt. Während wir so darüber sprechen fällt mir auf: Die IT hat Ähnlichkeiten mit der Drag-Szene. Auch dabei fragt man sich: Ist Drag, wie die IT, eine Männerdomäne oder nicht? Es gibt Trans- und Cisfrauen die Drag Queens sind, Trans Männer die Drag Queens sind, Trans- und Cis Männer die Drag Kings sind. Es gibt Cis-Männer die genderlos performen. Es gibt nicht-binäre Personen, die Kings oder Queens auf der Bühne sind. So ist es eben: Drag ist Kunst und Kunst ist für jeden. So ist es vielleicht auch in der IT. Wenn du motiviert und eine coole Person bist, dann ist es im Grunde ziemlich egal, was für ein Buchstabe in deinem Pass steht (oder auch nicht). Es gibt eine bekannte Drag Queen namens RuPaul, die gesagt hat: „We’re born naked, and the rest is drag.“.

Wofür steht Fräulein Bürgerschreck?

Mein Drag ist eine Mischung aus Entertainment und politischem Statement. Sei aufmerksam, wo du Aufmerksamkeit sehen möchtest, sage und mache, was keiner machen und hören möchte. Tu was andere ärgert. Sei die Veränderung, die du gerne in der Welt sehen möchtest. Vielleicht ist Fräulein Bürgerschreck einfach eine glamouröse, sexy Version von der kleinen Punkerin, die Amy ist 😉

Hattest du Leute in deinem Umfeld, die dich beeinflusst haben?

Ich habe eine Freundin, Lea, ein Urgestein sowohl in Sachen Transgender als auch IT. Sie machte ihre Transition Anfang der 2000er-Jahre, und arbeitet seit den frühen 90ern als Frontend Developer, wie man es heute nennen würde. Sie war und ist eine wahre Koryphäe auf ihren Gebieten und eine große Einflussnehmerin auf mein Leben und mein Werden. Aber auch Personen wie Peter Landin, Alan Turing, Edith Windsor, oder Sophie Wilson haben mich geprägt.

Hattest du sonst Rollenvorbilder, die dich beeinflusst haben, Programmierer*in zu werden?

Es klingt jetzt blöd, aber: Elisabeth Holmes. Sie hat viele Leute um Millionen, nein Milliarden von Dollar betrogen, mit einem Produkt, das absolut Trash ist, aber fantastisch vermarktet wurde. Natürlich will ich nicht auf Betrug hinaus, sondern, dass sie sich bis an die Spitze gebohrt hat. Und allein der Tatsache, dass sie Schrott verkauft hat, hat sie ihren Untergang zu verdanken. Aber stell dir vor, es wäre kein Blödsinn gewesen? Dann wäre sie eine wirklich bedeutende Selfmade-Frau geworden. Sie wusste, wie man sich verkauft und es ist ja auch so ein Lebensmotto von mir: “Fake it, till you make it!”, wenn du unsicher bist. Also tu so, als wärst du selbstbewusst, bis du es auch wirklich so fühlst. Wenn Miss Holmes es schafft Millionen an Investitionen ohne Produkt zu scheffeln und in die “Elite” aufzusteigen, dann schafft es eine Amy auch mit einem guten, ehrlichen Produkt Leute zu begeistern. So einfach ist das.

Außerdem muss ich Chelsea Manning erwähnen, sie ist von der anderen Seite her ein großes Vorbild für mich. Sie hat wirklich üble Sachen geleakt und Julian Assange von WikiLeaks zugespielt, damit die Welt davon erfährt. Sie wurde dann natürlich leider als Hochverräterin angeklagt und hat sich im Gefängnis geoutet und ihr Geschlecht angleichen lassen, natürlich musste sie sich das mit Zähnen und Klauen erkämpfen. Zwischenzeitlich wurde sie enthaftet, aber wieder inhaftiert, weil sie sich weigerte, gegen Wikileaks auszusagen. 2020 überlebte sie einen Suizidversuch, während sie in Beugehaft untergebracht war. Sie wusste genau, was richtig ist und ist das Risiko eingegangen. Sie ist für mich eine absolute Heldin. Generell, Leute, die ihre Fähigkeiten einsetzen, um etwas Gutes in der Welt zu bewirken, inspirieren mich.

Amy Codecool Dragqueen - Diversity 01

Siehst du die IT als eine Branche an, in der du etwas verändern kannst?

Auf jeden Fall, die IT ist eine sehr zukunftsträchtige Branche. Immer mehr und immer noch. Insofern man seine Fähigkeiten für das Gute einsetzt.

Was ist dein Traumjob?

Ehrlich gesagt wäre ich eigentlich am liebsten ein Freelancer mit einem eigenen fixen Kundenstamm. Ich hätte gerne diese Freiheit mir aussuchen zu können, mit wem und wofür ich arbeite und diesen “Kunden” dann das Bestmögliche zu bieten. Vielleicht verdient man damit nicht den Nil, aber solange ich von meiner Arbeit leben kann und vielleicht sogar gelegentlich eine gute Veränderung in der Welt bewirken kann, was könnte ich mehr verlangen?

Natürlich hat man auch Tagträume, die habe ich auch. So zu arbeiten wie Lisbeth Salander in der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson, besser bekannt als “ The Girl with the Dragon Tattoo”oder wie Penelope Garcia von Criminal Minds. Diese fiktiven Personen wären für mich der Inbegriff von Held*innen und “Change in the world”. So jemand wäre ich gerne!

Das heißt du wärst gerne ein moderner Robin Hood, der sich mit IT auskennt ;)?

Cringe! Aber, ja, genau, dass ich wirklich meine Kenntnisse nutzen kann, Leuten zu helfen und gute Arbeit leisten.

Amy Codecool Dragqueen - Diversity 03

Wie war dein Weg zu deiner Angleichung, wenn ich das fragen darf?

Du darfst mich natürlich gerne alles fragen. Ich bin ein offenes Buch bei diesem Thema, das ist Teil meines Aktivismus. Ich würde nicht sagen, dass ich mich schlecht oder anders gefühlt habe. Es hat, wie bei so vielen, mit Halloween angefangen. Eine Verkleidung hat sich eigenartig gut und irgendwie “richtig” angefühlt. Damals war ich ungefähr 17, wichtig war mir in vornherein immer der Segen meiner geliebten, kleinen Mutter. Sie hatte freilich auch viel zu verarbeiten in der Zeit. Ich denke auch, sie hatte ihre Momente der Erleuchtung, seitdem sie mich als Erwachsene und nicht mehr als Kind gesehen hat. Und schließlich bekam ich dann auch ihre Absegnung. 

Ab da ging alles recht schnell: Therapie, öffentliches Leben, Hormone, OPs. Seit diesem Tag bin ich gerne aufgestanden und habe mich toll gefühlt, am Leben zu sein. Je weiblicher ich wurde, desto besser habe ich mich gefühlt. Aber natürlich war dieser Prozess auch sehr intensiv und hat ungefähr 2 Jahre gedauert.


Im ländlichen Umfeld aufzuwachsen war so natürlich nicht leicht. Anfänglich habe ich mich versucht anzupassen, weil ich als Frau ernst genommen werden wollte, aber dann hab ich mir gedacht: “Hey, die Leute die mich jetzt nicht respektieren als Frau, die werden mich ohnehin nie respektieren, egal was ich mache und die Leute die mich jetzt respektieren, die machen das, egal wie ich ausschaue oder was ich mache.” Das war der Moment, in dem die heutige Amy geboren wurde. Ein schöner, erleuchtender Moment. Denn, was kümmert es die Leute? Ich bin mit mir selbst im Reinen. Ich weiß wer ich bin und wo ich gelandet bin und solange ich das mir mit reinem Gewissen sagen kann, sehen das andere Leute auch.

Damals habe ich schon ein bisschen mit Drag angefangen, bevor ich überhaupt gewusst habe, dass es Geschlechtsangleichungen – Transitions – gibt. Aber danach war auf einmal diese Option da, und seit meinem Coming-Out mit 17 habe ich meine Entscheidung nicht bereut. Okay, als ich mich das erste Mal auf einer öffentlichen Toilette wirklich hinsetzen musste, habe ich es einen kurzen Moment bereut 😉

Findest du es gut, dass du schon volljährig warst oder was würdest du jüngeren Leuten raten?

Wenn du dir sicher bist, musst du dich insgesamt rund zwei Jahre intensiv mit deinem Selbst und deinem Leben auseinandersetzen, Therapien aussitzen und du musst dich auf Herz und Nieren prüfen lassen (auch buchstäblich). Ich finde schon, dass das ein wichtiger Prozess ist, um wirklich herauszufinden, ob das “die Lösung” ist.

Allerdings sollte es allen möglich sein, einen solchen Prozess durchzuführen. Ich weiß nicht, wie viel “sicherer” man mit 48 sein kann, als mit 18 oder 16 – wenn du dir sicher bist, dann bist du dir eben sicher. Man sagt zwar, dass Kinder und Jugendliche nicht wissen, was sie wollen, aber man stellt sie auch mit einem zarten Alter von 14 Jahren vor die Entscheidung, was du lernen willst und welchen Beruf du dann dein ganzes Leben ausüben willst. Und wenn man im Vorhinein aufgeklärt wird: “Hey, es ist vollkommen okay, wenn man als Mann Männer mag oder, wenn zwei Frauen sich lieb haben” oder ” Es gibt auch Frauen, die eigentlich Männer sind und umgekehrt.

Wenn man im vornherein Kindern beibringt, dass es okay ist ein burschikoses Mädchen zu sein, oder ein Junge der gern Verkleiden spielt und Sailor Moon mag nicht automatisch “unmännlich” ist und die Kinder so von gesellschaftlichen Zwang und Druck löst, dann finde ich müsste man sich auch weniger Gedanken machen, ob man mit 15 schon bereit dazu ist eine solche Entscheidung zu fällen. Dann fällt auch zum Beispiel dieser Druck, sein Geschlecht zu definieren, weg. Und genau diesen beobachte ich gerade sehr bei der Generation Z.

Und wenn dieser Druck erst mal gelöst ist, selbstkritisch und gesellschaftlich, dann kann man auch von vornherein leichter über sich selbst und sein Geschlecht nachdenken. “Bin ich vielleicht so wie ich bin, weil ich ein falsches Geschlecht habe oder bin ich so, weil ich von der Gesellschaft dazu gedrillt wurde, das als “unmännlich” anzusehen? Wurde ich quasi ge-gender-scammt?” Das ist natürlich meine Sicht auf die Dinge und hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Was würdest du den Leuten raten, die nicht wissen, wer sie sind oder sich vielleicht auch nicht trauen, die Person zu sein, die sie denken, sein zu wollen?

Diesen Leuten kann ich nur raten: “Hey, do whatever you like!“. Sei die Veränderung in dieser Welt, die du gerne sehen würdest. Du musst dich darauf einstellen, dass hier und da blöde Sachen passen: ein Blick, ein Spruch, eine Frage, aber die Menschen sind nicht “böse”. Sie sind neugierig. Nütze die Gelegenheit, Leute aufzuklären und eine gute positive Veränderung in der Welt zu sein. Und wenn wirklich mal etwas Ungutes passiert: Steh darüber und wachse daran.

Und, wenn sich Leute nicht trauen und keine Kraft dafür haben? Was würdest du ihnen raten?

Das ist schwierig. Man muss sich halt selber immer überlegen: Ist man glücklicher, wenn man nicht über seinen Schatten springt und in diesem Schatten lebt? Oder schaut man ins Sonnenlicht da draußen und versucht über seinen Schatten zu springen?

 

Amy Codecool Dragqueen - Diversity 04

Zu allerletzt: Was würdest du den Leuten raten, die - egal welchen Geschlecht - sagen: "Hey, ich will in die IT-Branche, aber ich traue mich auch nicht. Oder, ich weiß nicht, ob das "richtig für mich" ist oder ob ich "ich" in der IT-Branche sein kann?

Also was ich jetzt mitgekriegt habe: Die IT-Branche kennt Nuller und Einsen und sobald du auch Nuller und Einsen kennst, ist es egal welches Geschlecht du hast oder welcher Sexualität du dich zugehörig fühlst.


Ich glaube nicht, dass dir da irgendwelche Leute einen Stein in den Weg legen wollen und, wenn ja, wenn das wirklich mal passiert, dann vielleicht allein weil diese Person sich von deiner Gegenwart verunsichert fühlt und das ist dann vielleicht auch ein ganz kleiner persönlicher Erfolg.

Wenn du wie Amy Programmieren lernen willst oder nun inspiriert bist, Developer zu werden, dann freuen wir dich bei Codecool willkommen zu heißen, egal welches Geschlecht, soziale Herkunft oder Sexualität du dich wohl fühlst.

Du hast noch nicht genug von Amy und willst mehr über sie erfahren? Dann lies doch unseren Blogpost über die Wichtigkeit von Diversität in Unternehmen und was unternommen werden muss, um Diversity- und Pinkwashing zu verhindern und trotzdem die LGBTQIA+ Community willkommen zu heißen.

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